Antinomic Biotope

Die Idee zu Antinomic Biotope entstand in Zusammenarbeit mit der Galerie für Landschaftskunst und ist Teil des Projekts Vier Vorschläge für den Hamburger Hafen auf Grundlage des IBP – Integrierter Bewirtschaftungsplan Elbeästuar, herausgegeben 2012 von der Freien und Hansestadt Hamburg / Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, dem Land Niedersachsen/ Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, dem Land Schleswig-Holstein / Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord und der Hamburg Port Authority.

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Ökologische Ausgleichsmaßnahmen im Hamburger Hafen sind grundsätzlich von Widersprüchen gekennzeichnet, denn bei der technischen Durchgestaltung des Gebietes wurden die Lebensraumansprüche der sich selbst entwickelnden Tier- und Pflanzenwelt nicht berücksichtigt. Jede Art der Selbstentwicklung wurde systematisch unterbunden, wodurch besonders für die Wasserlebewesen eine lebensfeindliche Umgebung entstanden ist. Für eine Selbstheilung der Natur ist hier weder der Raum noch die Zeit. Deshalb müssen die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen technischer Natur sein. Diese grundlegende Widersprüchlichkeit nimmt das Kunstwerk Antinomic Biotope in vielfältiger Weise auf.

Das Antinomic Biotope, eine schwimmende Düne-Flachwasser-Kombination, thematisiert das Substrat Sand als Lebensraum. Ein nicht trockenfallender, sandiger Flachwasserbereich im Flussbett sowie Dünen am Ufer sind wertvolle Habitattypen, die früher vielfältig im Hamburger Hafengebiet vorhanden waren, heute dort jedoch nur noch rudimentär erhalten sind. Die Landschaftselemente Düne und Flachwasserbereich werden in einer Anlage auf zwei Ebenen dargestellt: oben auf einem Ponton eine Düne, darunter hängend ein schwimmendes Flussbett. Die Anlage ist autonom und mobil und kann sich durch Standortwechsel den Erfordernissen einer an den Gesetzen der Hafenwirtschaft ausgerichteten Umwelt anpassen. Sowohl im Dünen- als auch im Flachwasserbereich des Antinomic Biotope könnte Sand aus der Hamburger METHA zum Einsatz kommen. Betrachtet man das Modell Antinomic Biotope in seiner Gesamtheit, ergibt sich der offensichtlichste inhärente Widerspruch aus der Kombination des Überwasser und des Unterwasserbereichs. Wo natürlicherweise eine Düne ist, kann sich nicht darunter eine Flachwasserzone befinden. Hier steht der Gedanke im Vordergrund, möglichst viel Habitat auf möglichst geringer Fläche unterzubringen. Die Folge ist ein erheblicher technischer Mehraufwand. Beispielsweise wird der Flachwasserbereich durch die Düne verschattet und muss deshalb künstlich mit Tageslicht versorgt werden.

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4 Erklärungstafel im Botanischen Garten Chemnitz zum Dünenaufbau

Die beiden konzipierten Bereiche sind jeweils auch in sich widersprüchlich. Eine Düne ist ein dynamisches Landschaftselement, das sich am Ufer des Ästuars durch ein Zusammenspiel von Strömung, Wind, Sand und Pflanzen entwickeln würde, wenn dies nicht durch menschliche Regulierungsmaßnahmen verhindert würde. Dünen können nicht schwimmen. In gewisser Weise sind sie zwar mobil, sie bewegen sich jedoch sehr langsam und nicht unbedingt dorthin, wo der Mensch sie haben will. Auf der begrenzten und von Wasser umgebenen Grundfläche wird die nomadische Düne gezwungenermaßen sesshaft. Erosion wird ausgeglichen und Sand wird regelmäßig nachgeliefert. Die Vegetation, die in der natürlichen Sukzession zur Bildung einer Graudüne und damit zu einer relativ stabilen Formation führen würde, muss eigens angesiedelt, gepflegt und ausgekrautet werden. Damit sich die richtigen Pflanzen hier wohlfühlen und ein Lebensraum für seltene Heuschrecken und Schmetterlinge wie zum Beispiel die blauflügelige Ödlandschrecke entstehen kann, muss ein zu starker Nährstoffeintrag verhindert und vor allem für eine gut funktionierende Drainage gesorgt werden. Hier zeigt sich die Dialektik von Kontrolle und Selbstentwicklung, die beim technischen Biotopbau in einer technisierten Umwelt unvermeidlich ist. Ohne den Menschen geht hier gar nichts, weshalb in botanischen Gärten eher von der Darstellung von Pflanzengesellschaften gesprochen wird als von der Anlage von Biotopen.

5 Quelle: Heinz Ellenberg „Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen“

6 Eine verkrautete Graudüne wird neu aufgebaut und mit einer Rhizomsperre versehen, Botanischer Garten Chemnitz, 29.04.2019

Noch schwieriger als die Installation des Landbereichs ist die technische Konstruktion des Unterwasserbereichs. Hier soll eine Flachwasserzone mit sauerstoffreichem Wasser und reinem Sand entstehen, ein Habitat für Fische, die Strömung mögen und an Orten wie diesem laichen. Das schwimmende Flussbett ist als Rückzugs- und Erholungsgebiet für Fische gedacht, die auf ihrem Weg vom Oberlauf der Elbe, über die Tideelbe bis in die Nordsee das Hafengebiet durchqueren müssen. Der Flachwasserbereich muss unabhängig vom Tidenhub funktionieren und darf nicht trockenfallen. Das ist durch die feste Montage unter dem Schwimmkörper der Sandbank gegeben. Die gesamte Anlage ist beweglich an Dalben befestigt. Trotz der drei Meter Tidenhub an der Anlegestelle bleibt so der Abstand des künstlichen Flussbetts zur Wasseroberfläche gleich. Die Montage unterhalb der Sandbank hat aber nicht nur den Nachteil der Verschattung. Die Wanne, in der das Substrat liegt, muss möglichst das Wegschwemmen des Substrats verhindern, gleichzeitig muss die Anlage jedoch für die Fische gut zugänglich und einladend sein. Technisch besonders anspruchsvoll ist zudem die Verhinderung der Ablagerung von Sedimenten, denn: Der natürliche Gegenspieler des Sandes im Hafengebiet ist der Schlick. Die bisherigen Elbvertiefungen haben zu stärkerem Tidenhub geführt. Deshalb setzen sich die Schwebstoffe des Flusses am Grund ab. Die Verschlickung beschleunigt sich. Eine Gegensteuerung durch in Strömungsrichtung angebrachte Schiffsturbinen, die bei Bedarf die Strömung aufrechterhalten und so die Sedimentierung unterbinden, ist denkbar.

7 Sandige Flachwasserzone, Quelle: Machbarkeitsstudie „Schwimmende Landschaften“, STUDIO URBANE LANDSCHAFTEN

8 Ruhezone und Laichgrund für Fische im Unterwasserbereich des Antinomic Biotope

9 Ein interessanter Ort für das Antinomic Biotope ist der Ellerholzhafen in Hamburg, wo es in eine Wechselbeziehung mit Trockenhabitaten am Ufer treten könnte.

10 Das Antinomic Biotope könnte den Substratkreislauf (Schlick, Sand) im Hamburger Hafen schließen.

Abb. 7, Foto: Katarina Bajc
Abb. 9, Foto: Till Krause